Am 18. Juli veröffentlichte der VfGH seine Entscheidung, wonach die Gratisnutzung des ORF online verfassungswidrig sei. Diesem Urteil ist man weder von Seiten Politik, noch von Seiten der Gesetzgebung zuvorgekommen; also muss bis Ende 2023 saniert werden.
Für viele im und außerhalb des ORF ist das eine sehr bequeme Situation. Jetzt wird wohl mit der Haushaltsabgabe eine weitere unzeitgemäße Ersatzsteuer hingeschusselt und die Diskussion darüber, in welcher Form ein öffentlich-rechtliches Medienhaus sinnvoll ist, ausgespart.
Kurz nach dem Urteilsverkündung des VfGH habe ich für den Standard einen Kommentar der Anderen verfasst, der in den nächsten Tagen oder Stunden etwas gestrafft auch online gehen soll.
Hier gibt es die ungekürzte Version vorab:
ORF Unser
Das nahende Ende der GIS ist eine medienpolitische Chance
Das Urteil des VfGH zur verfassungswidrigen Gratisnutzung des ORF via Internet löste naturgemäß eine Diskussion über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus. Es wäre wünschenswert, wenn die politische Debatte um die Entwicklung einer Alternative zur GIS nicht gleich mit der überstürzten Einführung eine Haushaltsabgabe endete, wenn es dabei nicht nur ums Geld ginge, sondern auch die Gelegenheit genützt würde, die Rolle des größten Medienhauses des Landes in Staat und Gesellschaft zu reflektieren. Welche demokratische Notwendigkeit erfüllt der ORF und wie kann er von der Politik unabhängiger organisiert werden? Eine Umstellung der Finanzierung wird von der Bevölkerung eher akzeptiert werden, wenn der wahrgenommene Nutzen des ORF über sein Programm hinausgeht.
Der ORF ist keine Religion, die man frei wählen kann
Die Diskussion über die Finanzierung des ORF ist vor allem für jene Strukturkonservativen praktisch, die den ORF in seinem Wesen erhalten wollen. Sie lenkt auch wunderbar von existenziellen Betrachtungen und Fragen politischer Einflussnahme ab. Dabei wird gerne das Argument vorgebracht, dass uns unabhängige Information umgerechnet ein paar wenige Eurocent pro Tag wert sein sollte. Alleine es handelt sich hier nicht um freiwillige Wertschätzung. Es ist in der grundsätzlichen Frage der Zahlungsverpflichtung unerheblich, ob die Gebühren jemandem weh tun oder ob der Preis für Programm, journalistische Vermittlung oder Unterhaltungskatalog angemessen sind, viele fordern die individuelle Entscheidungsfreiheit ein, die das Wesen einer Gebühr nahelegt. Die Debatte um die GIS erinnert damit punktuell an die Kreuze im Klassenzimmer. Die Schule gibt es in Österreich nur mit Religion, den Fernseher nur mit ORF; gestritten wird dann über Tradition, Nutzen und Schaden dieser vorinstallierten Inhalte, aber die übergeordnete Erörterung fehlt: Die Diskussion, warum ein TV-Gerät nicht auch ohne ORF betrieben werden kann (oder eine Schule ohne Religion) – oder positiv formuliert, warum es sinnvoll sein kann die Inhalte des ORF zur Basisausstattung des österreichischen Empfangsgeräts zu machen, wird gar nicht geführt, sondern mit jener über Gebühren kaschiert.
Doch sollte die Sinnfrage aus dem Blickwinkel eines medienpolitischen Bildungsauftrags auch ohne Gebührendiskussion periodisch gestellt werden, um ihre Akzeptanz zu stärken oder gegebenenfalls die Kosten dieser über die Allgemeinheit finanzierten Infrastruktur nach oben oder unten anzupassen. Es gibt aus demokratischer Sicht tatsächlich gute Argumente, ein öffentlich-rechtliches Medienhaus mit staatlichem Nachdruck oder sogar direkt zu finanzieren. Diese Begründungen muss man nicht teilen, aber letztendlich ist die demokratische Entscheidung, dass wir alle uns als Staat ein öffentlich-rechtliches Medienhaus leisten wollen, zu dulden. Die Diskussion über die Finanzierung damit erschlagen zu wollen, dass man den ORF persönlich für überflüssig hält, privatisieren oder abschaffen will, ist im Kontext der aktuellen Aufgabenstellung realitätsentrückt.
Vergebührte Empfangsgeräte
Die aktuelle Finanzierung via GIS stammt aus einer Zeit als die Nutzung von ORF-Inhalten an den Besitz eines Fernsehers oder Radios gekoppelt war. Diese Verbindung löste sich bekanntlich in den letzten Jahrzehnten durch die Ausweitung der Sendelandschaft und digitale Transformation. Damit etablierte sich eine Gruppe von Nutzern, die über nicht vergebührte Empfangsgeräte den ORF nützen konnte, was nunmehr mit dem VfGH-Urteil saniert werden soll; gleichzeitig bildete sich auch eine Gruppe von Nichtnutzern, die logisch nachvollziehbar die oben erwähnte Entscheidungsfreiheit einfordert. Die Tatsache, dass es sich bei der GIS eben um eine Gebühr und keine echte Steuer handelt, begünstigt das Anspruchsdenken, ohne Konsum auch nicht bezahlen zu wollen. Darüber hinaus wäre es heute technisch sehr leicht möglich, an jedem Gerät Bezahlschranken einzubauen. Die Zugänge auf Laptops und Mobiltelefonen könnten vom ORF blockiert werden und den meisten würde es nicht einmal auffallen. Trotzdem scheint es realpolitisch und -juristisch undenkbar, für GIS-Kunden einfach Konten und Passwörter zur Überwindung einer digitalen Zugangssperre zu generieren. Die naheliegende Lösung, die Gebühren beizubehalten, den Onlinezugang über solche Paywalls abzusichern und die Nichtnutzer auszuschließen, nicht wahrzunehmen, stattdessen aber Mobiltelefone und Laptops mit Gebühren für potenziellen Verbrauch zu belegen, überdehnt aber auch die Vorstellungskraft gestandener Etatisten. (Aus der Kirche kann man wenigstens austreten.)
Ehrlich und elegant
Die Politik scheint mit einer neuen Steuer in Form einer Haushaltsabgabe ohnehin einen Schritt weiter gehen zu wollen. Dass auch viele Medienwissenschafter diesen bequemen Bluff der Umbenennung der jetzt existierenden De-facto-Steuer unterstützen, ist bedauerlich und zeigt, wie wenig ausgeprägt das Verständnis für Fairness und Transparenz ist, wenn es darum geht, eigene strukturkonservative Überzeugungen durchsetzen zu wollen. Mediennutzung vollzieht sich im 21. Jahrhundert individuell, nicht als geteiltes Ereignis in der Wohnungsgemeinschaft.
Die Lösung, die Gebühr in eine Haushaltsabgabe umzuwandeln, vereint die Nachteile einer Steuer mit jenen der GIS. Sie perpetuiert nicht nur die Ungerechtigkeit gegenüber Einpersonenhaushalten, sie ist auch nicht geeignet, das Problem der Nichtnutzung auf einer prinzipiellen Ebene zu klären und wird weiteren Unfrieden stiften.
Mit der Haushaltsabgabe windet sich der Gesetzgeber um die klare und ehrliche medienpolitische Ansage, dass ein öffentlich-rechtliches Medienhaus – eine zeitgemäße Ausgestaltung vorausgesetzt – zum Wesen einer modernen liberalen Demokratie gehört und auch konsequenterweise staatlich finanziert werden muss. Wie gesagt, das kann man auch anders sehen, aber wenn man sich zu dieser Position durchgerungen hat und sie mit der notwendigen Mehrheit feststellt, dann sollte eine Haushaltsabgabe auch am Haushalt des Bundes festgemacht werden. Das kann einerseits über das Budget – wertgesichert über einen Medienfonds – erfolgen oder ein wenig eleganter über eine einkommensabhängige, zweckgebundene Umlage, die nach Steuerprogressionsstufen gestaffelt bei mehreren Einkommen im Haushalt auch von mehreren Personen gezahlt wird - ähnlich wie der Kirchenbeitrag, nur ohne Opt-out.
Trennung von Regierung und Medien
Ausnahmslos jede Form der Finanzierung, die mit dem staatlichen Gewaltmonopol durchgesetzt wird, schafft eine Verbindung zwischen Regierung und ORF; es ist eine Frage der Governance, unabhängig zu arbeiten. Der Einwand, dass eine Steuer in Form einer Haushaltsabgabe größere Politikferne garantieren würde, geht an der Wirklichkeit vorbei. Die Regierung kann immer eingreifen. Schon jetzt – mit Gebühren – steht der ORF unter starker Abhängigkeit der Politik; im Zuge einer Neuordnung seiner Gremien und einer neuen Finanzierung, die über eine gewisse Zeitspanne unabhängig von Legislaturperioden gesichert ist, kann dieser Einfluss sogar verringert werden.
Gleichzeitig verfestigt der ORF die existierende Wettbewerbsverzerrung in einem Markt, dessen Potenzial für andere Medienhäuser beschränkt ist. Eine neue Finanzierungsform muss dementsprechend auch den anderen Teil der Medienlandschaft zumindest in Höhe der Werbeeinnahmen des ORF inseratenfrei unterstützen, um fairen Wettbewerb zu ermöglichen.
Das Momentum für moderne Medienpolitik möge genutzt werden, das Verständnis für die Funktion von Medien in der Gesellschaft auch dahingehend zu erweitern.