Das Programm oder seine ideologische Schieflage reichen als Begründung nicht aus, um den ORF abstellen zu wollen. Das gleiche gilt für den Einfluss der Politik und die Finanzierung. Diese Dinge könnten alle so angelegt werden, dass der ORF tatsächlichen Mehrwert in die Medienlandschaft bringt.
Der folgende Text ist – wie immer leicht geändert – in der Presse vom 11. April 2024 als Gastkommentar erschienen.
100 Tage Haushaltsabgabe
Gut drei Monate hatten die österreichischen Haushalte nun Zeit, sich mit jener neuen Steuer anzufreunden, aus der das Budget des ORF zum Großteil bestritten wird. Zeit für ein kleines Fazit.
Das Ziel, die unbeliebte GIS durch eine Finanzierungsform zu ersetzen, die von der Bevölkerung akzeptiert wird, zeitgemäß und fair ist, kann nur deswegen nicht als katastrophal gescheitert bezeichnet werden, weil die Gebührenzahler an den Kummer schon gewöhnt waren. Der untragbare Zustand der angewandten Medienpolitik mit einer aus der Zeit gefallenen verpflichtenden Rundfunkgebühr verschlechterte sich mit der Haushaltsabgabe nur graduell. Dabei wäre die Umstellung der Finanzierung eine gute Gelegenheit gewesen, den ORF substanziell so umzubauen, dass er auch noch 2042 seine Rolle als Erzeuger von Mehrwert im Medienmarkt erfüllen können wird, in einem Umfeld, das sich auch 2024 längst schon so weit geändert hat, dass seine bestehende Struktur nicht mehr gegenwartstauglich ist.
Wozu brauchen wir den ORF?
Zu erklären, warum ein öffentlich-rechtliches Medienhaus zur demokratischen Infrastruktur zählt, ist eine Aufgabe, die immer wieder erledigt werden muss. Nur so kann Akzeptanz dafür geschaffen und aufrechterhalten werden, dass wir den ORF nicht als überflüssig empfinden, sondern wir ihn uns sogar leisten wollen. Die Frage der Finanzierung tritt dann in den Hintergrund.
Dass in einer demokratischen Gesellschaft unabhängige Medien Bürger dabei unterstützen, sich eine Meinung über das Geschehen in der Welt zu bilden, ist unbestritten. Medien bewirtschaften zudem gesellschaftliche Identität, sie reflektieren Kultur, Werte, Normen und natürlich auch Meinung. Idealerweise führen sie damit auch gesellschaftspolitische Debatten in einer breiten Öffentlichkeit ab. Die Kernaufgabe der Öffentlich-Rechtlichen ist es, diesen Public Value und diese Public Identity in einem größeren Medienmarkt gemeinsam mit den Privaten zu servicieren.
Dass der ORF dafür nicht gebraucht wird, weil der private Medienmarkt das alleine besser kann, ist ein legitimer Standpunkt – allerdings mit dem Charakter einer Vermutung. Ohne Evidenz bleibt es eine Hypothese, bis wir es ohne ORF probieren. Lohnt sich dieses Risiko oder gibt es bessere Alternativen?
Medienhaus statt Anstalt
Vielleicht wäre es besser, den ORF umzubauen, weil er seine Aufgabe nicht ausreichend gemäß dem oben skizzierten Ideal erfüllt. Die Rundfunkanstalt ist organisatorisch aufgedunsen und zu teuer. Das Budget wird mit Zukäufen von Filmen, Serien sowie Sportrechten und -übertragungen, die im privaten Markt besser aufgehoben sind, sinnlos belastet. Generell wird am Publikum mit linearem TV vorbei produziert, weil die Möglichkeiten online beschränkt sind. Der Umfang der Online-Angebote wurde reduziert anstatt aufgewertet. Das ist ein Rückschritt auf dem Weg zu einem öffentlich-rechtlichen Medienhaus, das darunter leidet, immer weniger junge Menschen zu erreichen. Hier bedarf es einer Neu-Fokussierung der eingesetzten Medientypen und dem Abstoßen von Teilen, die im öffentlich-rechtlichen Umfeld deplatziert sind, wie etwa Ö3.
Wer seine Position in einer fundamentalen Ablehnung des ORF gefunden hat, wird mit solchen Reformansätzen nicht mehr zu überzeugen sein. Aber auch dieser Teil der Bevölkerung muss dulden, dass es den ORF gibt und hoffentlich an einer sinnvollen Finanzierungsform interessiert sein.
Budget statt Scheingebühr
Mit aktualisierten Aufgaben zur Pflege von Public Value und Public Identity ausgestattet zählt der ORF zur demokratischen Infrastruktur. Auch wenn er versucht, seine Services immer mehr Streamingdiensten anzunähern, ist er kein Mitbewerber in einem freien Medienmarkt. Und weil er auch nicht vom Markt geregelt werden soll, muss er konsequenterweise aus dem Wettbewerb herausgenommen werden. Daran führt kein Weg vorbei.
Das bedeutet zunächst Werbefreiheit im ORF, die auch dem privaten Komplementärmarkt zugutekommt. Das bedeutet aber auch, keine Scheingebühren einzuheben. Die Haushaltsabgabe gaukelt vor, ein Familienabo eines Streamingdienstes zu sein und unterscheidet dabei nicht einmal zwischen Ein- und Mehrfachnutzung.
Die knapp 40 % Single-Haushalte in Österreich stützen damit den Rest der Bevölkerung und helfen weit überproportional, die Höhe den Abopreis niedrig zu halten. Diese Steuerverzerrung ist gerade im Hinblick auf niedrige Einkommen ungerecht und spiegelt ein Gesellschaftsbild wider, das umstandslos manche Lebensentwürfe bevorzugt. Die Haushaltsabgabe reflektiert auch die Wirklichkeit eines Mediennutzungsverhaltens, das ein halbes Jahrhundert zurückliegt, als sich die Familie noch gemeinsam vor der Kathodenstrahlröhre zum TV-Konsum versammelt hat. Die Nutzung ist längst paketiert auf Einzelinhalte und gelegentliche Live-Streams auf der persönlichen Ebene angekommen. Und dort sollte auch die Finanzierung festgemacht werden.
Wenn wir den ORF wie Justiz, Landesverteidigung et cetera als Teil einer demokratischen Infrastruktur begreifen, die wir uns gemeinschaftlich gönnen, dann müssen wir ihn auch vom Nutzungsdruck befreien und aus Steuermitteln bezahlen. Da wir eine der höchsten Steuerquoten weltweit haben, stehen weitere Aufschläge auf das Einkommen außer Frage. Gelingt es aber, die Abgabenbelastung insgesamt zu senken, indem beispielsweise die Kammerumlage 2 gestrichen und Arbeiterkammerumlage reduziert wird, könnte alleine damit ein substanzieller Teil der Finanzierung des ORF aus einer neuen Medienumlage bestritten werden. Unterm Strich fehlt das Geld nicht in den Kammern, die Steuerzahler ersparen sich die Haushaltsabgabe und haben monatlich etwas mehr auf der Debitkarte.
Letztendlich befriedigen diese Zahlenspiele aber nur den unvermeidlichen Ruf nach Gegenfinanzierung. Einfacher wäre es, den ORF direkt aus dem Budget zu finanzieren, bei dem ohnehin Einsparungen weit über das Ausmaß der Kosten eines öffentlich-rechtlichen Medienhauses zu tätigen sind. Eine mehrjährige geordnete Finanzplanung könnte über die Dotierung eines Medienfonds abgesichert werden, aus dem auch andere Fördermaßnahmen im privaten Medienmarkt bis zur vollständigen Entzerrung des Medienmarktes bestritten werden. Diese Transformation darf aber maximal ein paar Jahre dauern, schließlich werden mehrere hundert Millionen Euro im Werbemarkt frei.
Aber der politische Einfluss!
Wer jetzt noch das angestaubte Argument bringen will, dass durch eine Budgetfinanzierung der politische Einfluss zunehme, weil dann jedes Jahr mit dem Finanzministerium verhandelt werden muss, blendet aus, dass weder die Haushaltsabgabe noch die GIS jemals vor unlauterer Intervention geschützt haben. Trotzdem: Diese wichtige Frage der Governance muss von der Finanzierung unabhängig sein. So wie andere Organe des Staates vor einer unsachgemäßen Lenkung durch die Regierung geschützt werden müssen, ist das analog auch auf öffentlich-rechtliche Medienhäuser anzuwenden.
Deus est Machina
Für mein nächstes Buch, mit dem schönen Titel “Deus est Machina” (Alibri), das hoffentlich auch in englischer Sprache erscheinen wird, gibt es einen eigenen englischsprachigen Newsletter zum Thema Republik, Gesellschaft & Religion.