Die Beschneidung aus religiösen Gründen oder nicht-religiösen Gewissensgründen bei Kindern erfolgt ohne medizinische Indikation und ohne Zustimmung der Geschädigten. Sie bringt keinen Nutzen für Hygiene oder gar Gesundheit, sondern birgt Gefahren, führt manchmal zu schweren Komplikationen, Krankheiten und in einigen Fällen auch zum Tod. Die Anzahl der nicht-religiös begründeten Eingriffe zur vermeintlichen Penisverbesserung ist in Österreich vernachlässigbar, auch wenn in vielen Fällen eine Phimose (Vorhautverengung) als Gefälligkeitsdiagnose ausgesprochen wird, um den Eingriff fachärztlich in einem Krankenhaus durchführen lassen zu können. Aber nicht jede Tradition, die im Widerspruch zu Grundrechten steht, muss religiös begründet sein. In den USA beispielsweise ist die sogenannte männliche Beschneidung unabhängig von rituellen, magischen Praxis weit verbreitet.

Vor zehn Jahren, am 7. Mai 2012, stellte das Kölner Landesgericht fest, was unübersehbar ist, dass es sich bei dieser Form der Genitalverstümmelung, bei der ein Stück der (Penis-)Vorhaut abgetrennt wird, um eine strafbare Körperverletzung handelt, die dem Kindeswohl widerspricht.
Das Urteil zog eine mehrwöchige öffentliche Debatte im deutschsprachigen Raum nach sich. Man könnte meinen, dass ein verbotener Eingriff, der zu irreversiblen Körperschäden führt, auch eine entsprechende Rechtsdurchsetzung nach sich zieht und diese Praxis im 21. Jahrhundert ihr Ende findet – noch dazu, wenn die weibliche Beschneidung praktisch weltweit geächtet, auch wenn sie weiterhin und heimlich durchgeführt wird.
Doch es kam anders, weil es sich bei der Beschneidung um eine religiöse Tradition handelt und so endete die Diskussion mit dem kontraintuitiven Ergebnis, dass die Penisbeschneidung von nicht einwilligungsfähigen Kindern in Deutschland explizit legalisiert wurde. Die österreichische Lösung bestand darin, keine Lösung zu finden, sondern das Ignorieren geltender Gesetze weiter zu tolerieren, nachdem die vorangegangene Diskussion abgeebbt war.
Warum das Recht auf körperliche Integrität in diesem Fall in Deutschland und Österreich nicht ernst genommen wird, ist auf das Verhältnis von Staat und religiöser Ideologie zurückzuführen. In beiden Ländern werden Religion und religiöse Gemeinschaften rechtlich bevorzugt, was eine besondere Toleranz bis hin zur Akzeptanz dieser Praktiken nach sich zieht, die in öffentlicher Diskussion dadurch auch ganz besonders immunisiert sind.
Intellektuellenfeindlichkeit
Eine differenzierte und aufgeklärte Debatte wurde auch dadurch erschwert, dass – wenig überraschend – Kritik an der Beschneidung oft auch als Aggression gegenüber dem Judentum angesehen wird, freilich ungeachtet dessen, dass Beschneidung auch im Islam und sogar von Atheisten praktiziert wird. Diese Einschätzung hat auch einen wahren Kern. Denn es ist richtig, dass von mancher Seite die Kritik an der rituellen Beschneidung tatsächlich als willkommenes Werkzeug antisemitischer und antiislamischer Agitation praktiziert wird. Eine Taktik, die auch bei einer anderen jüdisch-islamischen Tradition angewendet wird: bei der des betäubungslosen Schächtens.
Doch es ist ein Unterschied, ob ein FPÖ-Abgeordneter im ersten Landwirtschaftsausschuss der Legislatur – wie ich es selbst 2013 erlebt habe – bei seiner ersten Wortmeldung dringend ein Verbot des Schächtens verlangt, um ein bisschen gegen Jüdinnen und Muslime zu hetzen oder ob respektable Ärztinnen und Juristen auf die Inkompatibilität der Genitalverstümmelung mit Gesundheit und dem Recht auf körperliche Integrität verweisen.
Doch auch wenn kritische aufgeklärte Positionen unter falschen Motiven in einer Art unkultivierter Aneignung übernommen werden, macht es sie nicht weniger wichtig oder redlich.
Was ohne Zweifel unredlich ist, ist die Feindseligkeit mancher Intellektueller gegenüber guten Argumenten. So bezeichnete der ÖVP-Abgeordnete Rudolf Taschner Genitalverstümmelungskritiker als „Antisemiten reinsten Wassers“. Doron Rabinovici ortet „Kastrationsangst“, sie „macht die Psychoanalyse in manch rassistischem Konstrukt aus”. In einem Twitterdialog mit ihm, den der Autor leider gelöscht hat, bezeichnete er sich selbst mit Verweis auf Stalin und die Sowjetunion als Gegner des Laizismus. Er übersieht dabei, dass gerade das Prinzip der Laizität das höchste Maß an Freiheit für Religion, Weltanschauung und Tradition gewährleistet. Laizität bedeutet eben keine Verdrängung der Religion aus einem kulturellen Pluralismus.
Letztendlich handelt es sich bei derartigen Äußerungen um versteckte Hassrede jener, die eine Privilegierung religiöser Tradition durch Abwertung aufrechterhalten wollen, indem sie berechtigte Kritik in die Nähe von Verhetzung rücken.
Kindeswohl
Diese Intellektuellenfeindlichkeit bzw. Intellektuellenfeindseligkeit bemüht auch gern die Motivation der Beschneidungsgegner. Sie sei nicht vom Kindeswohl geprägt, sondern eben rassistisch, antisemitisch, usw. usf.
Dass die Wortführer dabei das Kindeswohl selbst geflissentlich außer Acht lassen, die Beschneidung ausschließlich religionsprotektionistisch und kulturrelativistisch rechtfertigen und kein Wort über die betroffenen Minderjährigen verlieren, geschweige denn erklären, warum das Verstümmeln von Genitalien deren Wohl dient und nicht zuwiderläuft, erklärt zumindest die Luftleere dieser vermeintlichen Argumente.
Letztes Jahr wurde im Justizministerium eine Kindeswohlkommission eingerichtet, deren Aufgabe darin besteht, „im Bereich des Asyl- und Bleiberechtsverfahren die rechtlichen Rahmenbedingungen für Kinder und ihre Anwendungspraxis zu überprüfen“. Sinnvoll wäre hier vielleicht auch eine Erweiterung des Aufgabengebiets auf eine ganzheitlichere Erfassung des Kindeswohls, das auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder miteinbezieht.
Kompromissvorschlag
Es gibt übrigens auch eine ganz einfache Lösung bzw. einen Kompromiss für das Thema Beschneidung: Anstatt diesen Eingriff bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen vorzunehmen, könnte man einfach bis zum Erreichen des 17. Lebensjahres warten, damit die dann jungen Erwachsenen selbst ihre Zustimmung zur Beschneidung geben können.
Das wäre bereits jetzt gesetzlich durch das Gesetz zur „Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen“ gedeckt und würde der weltanschaulichen Selbstbestimmung keinen Abbruch tun.