Die Asymmetrie von Vergleichen gehört zu ihrem Wesenskern. Vergleiche "hinken", Vergleiche sind "schief"; sie sind oft Ausdruck sprachlicher Unbeholfenheit, um einem Argument Plastizität zu verleihen. Ihnen wohnt ähnliche Beweiskraft wie auch Zitaten inne – der Grat zu Sinnsprüchen, Bauernregeln und Meinungen von Schauspieler:innen ist schmal. Auch dieses Sprachbild ist in einem etwas weiteren Sinn ein Vergleich, der nicht viel weniger belegt, als dass ich selbst davor nicht gefeit bin. Schuldig im Sinne der Anklage, Alm!
Desöfteren habe ich in der letzten Zeit auch Vergleiche zwischen Gurt- und Impfpflicht wahrgenommen und ich bin nicht sicher, ob diese als Analogien zutreffend sein wollen, sind oder nicht. Diese Unsicherheit liegt daran, wie eine Impfpflicht als Variable gegebenenfalls ausgelegt wird. Da die Gurtpflicht klar definiert ist, darf sie in diesem Vergleich als fixe Größe angenommen werden. Ein paar wesentliche Unterschiede zur Impfpflicht können schnell festgehalten werden. Ich greife drei Punkte heraus:
Das Grundrecht auf körperliche Integrität wird bei einer Anschnallpflicht nicht verletzt.
Die Gurtpflicht dient primär dem Selbstschutz der Anlegenden. Durch einen nicht angelegten Sicherheitsgurt wird – auch wenn es nicht ausgeschlossen werden kann – in der Regel keine andere Person verletzt. Die Impfung entfaltet ihre Wirkung auch im Hinblick auf Mitmenschen. Oder andersrum: Es gibt keine Herdeneffekte bei der Gurtpflicht. 80%, ja selbst 90%+ reichen nicht, um das Delta auf 100% mitzunehmen.
Beim Autofahren handelt es sich um eine qualifizierte Teilnahme, die der Straßenverkehrsordnung unterworfen ist. Nicht alle Menschen fahren mit dem Auto (mit). Eine generelle Anschnallpflicht wäre absurd. Wer zu Hause oder im Supermarkt einen Gurt anlegt, schützt damit weder sich selbst, noch andere.
Will man das Grundecht auf körperliche Integrität achten, kann eine Impfpflicht nur als Teilnahmebedingung ausgelegt werden.
Ich bezweifle aber, dass das von denjenigen, die eine Impfpflicht fordern auch so gemeint ist. Belegen kann ich es nicht, weil ich noch nicht wahrgenommen habe, dass jemand in der öffentlichen Debatte eine Definition einer Impfpflicht geliefert hätte, aber es ist naheliegend, dass damit eine allgemeine und unbedingte Impfpflicht gemeint ist. Wir sprechen nicht von einer Teil-Impfpflicht, die nur manche Berufsgruppen betrifft, sondern dass jeder Mensch in Österreich ab einem gewissen Alter geimpft sein muss. Vorausgesetzt das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kann irgendwie dabei rechtlich irgendwie ausgeschaltet werden, gilt es weitere praktische Probleme zu lösen:
Was passiert, wenn jemand die Impfung verweigert? Wird er/sie dann polizeilich vorgeführt und geimpft oder bleibt es bei einer Geld- oder Freiheitsstrafe?
Was passiert mit Menschen, die nach Österreich einreisen (egal ob Migration, Tourismus oder Geschäftsreise)? Werden hier Ausnahmen gemacht? Warum? Und wie für lange? In manchen Ländern ist beispielsweise eine Gelbfieberimpfung für die Einreise verpflichtend.
Steht die Impfpflicht im Verhältnis zu den Folgen der Krankheit? Und müssten wir konsequenterweise Impfpflichten bei Krankheiten mit ähnlichen Folgen auch einführen?
Es ist natürlich absolut legitim, das Recht auf körperliche Unversehrtheit als unüberwindbare Hürde anzusehen. Die Impfpflicht wäre dann – analog zur Anschnallpflicht – wie schon oben erwähnt als Teilnahmebedingung auszugestalten. Gerade der letzte Punkt ist für eine geglückte, also nicht ganz so schiefe Analogie der beiden Pflichten wesentlich. Führt man eine qualifizierte Teilnahme als Faktor ein, dann sieht man, dass die Impfpflicht sinnvollerweise nur dort angewendet werden kann, wo auch Teilnahme angestrebt wird. Jetzt wär noch zu diskutieren, wo das der Fall sein soll und wo nicht, etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln, am Arbeitsplatz, in Restaurants, im Wald, beim Skifahren usw.
Automatisch davon auszugehen, dass jede und jeder immer und überall von dieser Teilnahme erfasst sein muss, geht auch in der Praxis zu weit. Eine Impfpflicht für alle wäre auch damit ausgeschlossen. Dass es sich dabei trotzdem um einen de facto Impfzwang handelt, steht außer Frage.
Diese Diskussion hätte selbstverständlich schon seit 2020 präventiv und begleitend geführt werden müssen. Das ist, wie vieles andere in dieser Pandemie, einfach nicht passiert. Stattdessen müssen wir uns weiter mit politischer Gegenwartsbewältigung plagen, wenn undefinierte oder irrführende Begriffe mit erheblichen Implikationen in den öffentlichen Diskurs geworfen werden. Dazu zählt natürlich auch der "Lockdown für Ungeimpfte" mit seinen zahlreichen Ausnahmen. Ein bisschen mehr sprachliche Präzision wäre auch für mich hilfreich, dann hätte ich auch Zeit, über andere Dinge zu schreiben und müsste nicht schlampige Twittervergleiche an dieser Stelle postrationalisieren.