Grundsätzlich muss man als Wähler davon ausgehen, dass bei jeder Wahl auf jeder Ebene politische Parteien die besten Köpfe auf ihren Listen platzieren – insbesondere bei einer Wahl zum Bundespräsidenten, bei der diese Liste aus strategischen Gründen auf nur einen Platz limitiert ist. (Auch wenn es eine schöne Abwechslung wäre, würde eine Partei einmal zwei Menschen ins Rennen schicken.)
Wer Bundespräsidentin werden will, brauchte dazu bislang die Unterstützung von zumindest einer Partei. Bislang haben nur Parteikandidaten bei dieser Wahl, bei der es sich natürlich um keine Listenwahl handelt, ernstzunehmende Chancen gehabt und gewonnen.
Wahl mit Qual
Der Wählerinnen sollten sich nach einer parteigepflegten Vorauswahl mit ihrer Entscheidung aus ein paar handverlesenen Kandidaten für das höchste Amt im Staat möglichst schwer tun. Ungültig zu wählen, wäre dann ein Eingeständnis, dass die Alternativen so herausragend sind, dass keine Option hervorsticht und es praktisch egal ist, wen man nicht wählt.
Dass das in der Praxis nicht so ist, kann man daran ablesen, dass Weißwählen eine schlechte – ich sehe das übrigens nicht so – Reputation hat. Man soll gefälligst von der demokratischen Errungenschaft des Wahlrechts Gebrauch machen und gegebenenfalls statt Affirmation im Ausschlussverfahren das geringste Übel wählen, aber es bitte ja nicht so bezeichnen.
Geringstes Übel
Lange Zeit galten ja die Grünen für viele als das geringste Übel, was sie auch ihrem langjährigen Spitzer Alexander Van der Bellen zu verdanken hatten, der als rauchende und Alfa fahrende Anomalie ein Angebot und eine Brücke über den Kreis der Kernwählerinnen hinaus verkörperte.
Jetzt ist er Bundespräsident und will es bleiben. Das bedeutet nicht, dass er es als geringstes Übel in dieses Amt geschafft hat. Bei der letzten Wahl gab es nicht nur sehr viele Gänge, sondern so viele halbwegs passende Kandidatinnen, wie schon lange nicht mehr. Gegen diese hat sich VdB durchgesetzt und er startet mit einem Vorsprung in den ersten Wahlgang. Doch diese Poleposition bedeutet nicht, dass er nicht doch für viele das geringere Übel in der Stichwahl 2016 war. Es bedeutet auch nicht, dass er die am besten geeignete Person für die nächsten sechs Jahre ist, auf die diese Entscheidung fallen sollte.
Doch für diesen Vergleich braucht es in der Praxis auch ein möglichst breites Angebot von Alternativen. Die von den Parlamentsparteien jetzt herbeigeführte künstliche Verknappung wirkt ein wenig resignativ, undemokratisch und im Fall der ÖVP auch demokratieverächtlich. Von einer Parlamentspartei darf man sich erwarten, klar einen Kandidaten zu unterstützen, indem man selbst einen nominiert oder einen vorhandenen, konkret den im Amt befindlichen unterstützt – und zwar idealerweise vor dessen Kandidatur. Wortspenden, die auf Herkunft, Haarfarbe oder Geschlecht abstellen, wie von Landeshauptmann Günther Platter, der die „Tiroler Mentalität“ von VdB bemühte, wirken als Begründung polemisch und deplatziert.
Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile
Aber es muss allen Parteien in Summe der Vorwurf gemacht werden, dass sie sich von der Entscheidung Van der Bellens abhängig gemacht haben. Die FPÖ wird einen eigenen Kandidaten bringen, aber hat damit solange gewartet, dass jede Person nur mehr als strategische Reaktion auf die Kandidatur des Amtsinhabers gewertet werden kann. Ein Zeichen der Schwäche, sich über den Mitbewerb zu definieren.
NEOS und SPÖ haben sich zwar schnell deklariert, Van der Bellen zu empfehlen, aber es ist schon erstaunlich, dass beide Parteien keine tauglichere Personen gefunden haben oder aufstellen wollen. Nachvollziehbar ist es unter der Annahme, dass das Ergebnis mit Antritt einigermaßen feststeht und dass auch ein kurzer Wahlkampf viel Geld kostet, das die Parteien lieber an anderer Stelle einsetzen. Das ist uns allen bewusst, aber ein sportlicherer Wettkampf zwischen guten Köpfen wäre demokratischer als das bloße Dulden eines Kandidaten.
Die ÖVP fehlt aber sogar das Rückgrat zu diesem Schritt und erdreistet sich einfach „Alles Gute“ zu wünschen und dem mündigen Wähler die Entscheidung freizustellen. Ja, was denn sonst? Diese Freiheit würde man auch den ÖVP-Abgeordneten bei so mancher Abstimmung gönnen.
Weißer Passivrauch steigt auf
Für Van der Bellen ist der aktuelle Zwischenstand auch kein schöner. Er wird wieder einmal als kleinstes Übel wahrgenommen, weil es ihm nicht gelungen ist, vorab die Unterstützung anderer Parteien als der Grünen zu sichern. Er wird toleriert, aber nicht angefeuert. Die pragmatische Sicht darauf, dass VdB seine Sache vermutlich auch weiterhin eh halbwegs gut macht, ist in Summe für das Amt des Bundespräsidenten ein zu niedriger Anspruch. Das bewusste Nichtantreten und Auslassen einer Wahl ist passives Weißwählen.