Über die Impfpflicht
Newsletter Nr. 62 – Eine Impfpflicht müsste alle anderen Maßnahmen terminieren
Die Idee einer allgemeinen Impfpflicht für Erwachsene (im Weiteren auch nur mehr kurz Impfpflicht) besteht darin, die Reduktion der Freiheit für manche in Kauf zu nehmen und dadurch allen mehr Freiheit zu verschaffen. Sie ist im Wesen ein Universaleingriff, der zwingend alle anderen Maßnahmen ersetzt und terminiert.
Abgesehen davon, dass an der effektiven Durchführung massive Zweifel anzumessen sind, steht eine große Frage im Raum: Ist dieser Abtausch überhaupt gerechtfertigt? Das ist keine Frage für Epidemio- oder Virolog:innen, die zur Beantwortung wichtige naturwissenschaftliche Grundlagen liefern, denen aber die Kompetenz zur Beantwortung fehlt. Das Rechtshandwerk kann an dieser Stelle ausgeklammert werden, es beschäftigt sich ohnehin nur mit Auslegungsfragen im Rahmen einer Verfassung, die in diesem Fall keine Anleitung bietet. Wo die Kompetenz der Naturwissenschaft endet, beginnt die Domäne der Philosophie (bzw. Staatsphilosophie und Politikwissenschaft).
Die Impfpflicht ist eine ideologische Frage, eine Haltungsfrage, eine politische Entscheidung.
Zur Einleitung
Eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene ist im globalen Katalog der Corona-Maßnahmen eine Seltenheit. Nur sehr wenige Länder – Indonesien, Turkmenistan, Ecuador, Tadschikistan, Vatikan, Neukaledonien und Mikronesien – haben sie bislang eingeführt. Ohne despektierlich wirken zu wollen: Diese Staaten gelten üblicherweise nicht als Vorbilder in internationalen Innovationsvergleichen. Im Gegensatz zur Wirksamkeit der Impfung an sich, von Masken oder Lockdowns gibt es weder international noch national einen breiten Konsens für die Impfpflicht.
Ihre Einführung gilt auch unter Befürworter:innen und jenen, die sie (am Donnerstag im Parlament) beschließen werden überwiegend als letzter Ausweg, für manche aber auch einfach als bequeme Lösung. Sie ist für die Politik in Verantwortung (also die Regierung) jedenfalls ein Eingeständnis des Scheiterns. Es wäre auch anders gegangen. Dass – nicht nur in Europa – bis zum Aufwachsen der Omikron-Wand angestrebte Impfquoten auch ganz ohne Verpflichtung, aber mit angemessener Kommunikation erreicht werden konnten, reicht als Beleg für die praktische Durchsetzbarkeit freiwilliger Immunisierung bei gleichzeitiger Anwendung grundrechteschonenderer Maßnahmen .
Teil 1 – Versäumnisse
Szenarienplanung und Kommunikation wurden in Österreich von Beginn an vernachlässigt. Es war schon kurz nach Ausbruch der Pandemie völlig klar, dass die Diskussion über eine Impfpflicht irgendwann geführt werden müsste. [Kleiner Exkurs: Bei Addendum hatten wir zu dieser Zeit begonnen, eine Debattenplattform zu bauen und weil mich das Thema interessierte, holte ich im Juni 2020 einen Beitrag dazu ein. Das generelle Sentiment – auch bei Addendum war – aber, dass es noch zu früh ist, über eine Impfpflicht zu diskutieren. Kurz darauf wurde Addendum eingestellt, ohne dass ich die Chance hatte, das Thema dort zu vertiefen.] Persönlich vermute ich, dass die Debatte vor allem politisch deswegen nicht geführt wurde, um eine Impfpflicht nicht herbeizureden. Den Menschen wurde zwar anders Angst gemacht (Kurz: "100.000 Tote"), drohen wollte man ihnen mit der Spritze aber nicht.
Diesen Diskurs im Vorfeld – neben anderen vorausschauenden Planungen – auszusparen, halte ich nach wie vor für ein Versäumnis. Selbst habe ich mir – wie viele andere auch – trotzdem viele Gedanken zu einer Impfpflicht gemacht, aber bislang kaum etwas dazu geschrieben, auch weil ich naiv angenommen habe, dass das Thema tatsächlich von vielen zu Ende und nicht nur an-gedacht wurde. Aber das Nicht-Aus-Denken und An-Denken bzw. die Andacht ist nicht umsonst in der Domäne des Glaubens und nicht der Wissenschaft beheimatet. Die Leichtfertigkeit, mit der eine Impfpflicht von vielen zur Problemlösung gefordert und gebilligt wird, ist atemberaubend. Es sind in dem Fall (in meiner Wahrnehmung) nicht die Politiker:innen, sondern die Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die hier nahelegen, dass zur Ergebnisfindung eher die Pausen im Nachdenken genützt wurden und verantwortungsethische Nutzenerwägungen vorschnell über alles gestellt werden. Ein gewisser Maßnahmenfundamentalismus durchwirkt auch die Sphäre jener, die gerne evidenzbasiert Entscheidungen treffen wollen, denen aber das geistes- und sozialwissenschaftliche Rüstzeug fehlt. Die Beweislast für eine Impfpflicht liegt eindeutig bei jenen, die sie fordern. Sie müssen die grundrechtlichen Hürden sowie staatstheoretische Prinzipien wegräumen und die Effektivität der Maßnahme belegen und zwar in ihrer tatsächlich kommenden Umsetzung.
Exkurs: G-Nomenklatur
Bevor ich mich der Impfpflicht widme, kommt an dieser Stelle noch ein Ausflug zur 3G-Regel, die heute fest im Sprachgebrauch verankert ist. Was die einzelnen Gs eigentlich bedeuten, ist vielen offensichtlich gar nicht so klar. Auch das ist ein strategisches Kommunikationsversäumnis, das weiterhin dazu beiträgt, dass es jetzt eine Impfpflicht geben wird.
Kurzes Recap. Für eine Person gibt es drei mögliche Status:
Das erstes G bedeutet "geimpft "(mit aufrechtem Impfschutz, derzeit 270 Tage).
Die Abkürzung 1G umfasst alle Geimpften.Das zweite G bedeutet nicht geimpft, aber "genesen" (mit vorhandener Immunität, derzeit 180 Tage).
Die Abkürzung 2G umfasst alle Geimpften (erstes G) und zusätzlich alle Nicht-Geimpften (zweites G), die als genesen gelten.Das dritte G bedeutet "getestet". Die Abkürzung 3G umfasst dann zusätzlich alle Nicht-Geimpften, die negativ testen (drittes G).
Diese drei Status sind alle temporär: Sowohl Test, Genesung als auch Impfung sind nur begrenzt gültig. Die Status sind grundsätzlich einander ausschließend. Eine Person kann immer nur einen der drei Status haben. Ein zusätzlicher Test für Geimpfte und Genese wird mit + markiert (1G+, 2G+).
Ja, ich weiß, dass Sie das alles wissen, aber ist Ihnen aufgefallen, dass diese Nomenklatur für die Durchsetzung einer hohen Impfquote kontraproduktiv ist?
Genesene und bislang Ungeimpfte sind Impfunwillige
Schauen wir uns die Gruppe der Genesenen noch einmal genauer an: Das sind Personen, die sich in den letzten 270 Tage und höchstwahrscheinlich auch davor nicht impfen ließen (oder selbst geimpft haben) – sonst würden sie ja zum ersten G zählen. Es sind (mittlerweile) fast ausschließlich Impfverweigerer:innen.
Natürlich gibt es sicher vereinzelt Fälle serieller Genesung und Neuinfektion, aber auch da muss man sich fragen, warum solche Leute nicht lieber doch impfen gehen. Der Status "genesen" bedeutet Anfang 2022 einfach nur dauerhaft ungeimpft zu sein. Diese inhaltliche Wandlung des Begriffs vom unverschuldeten Infizieren zum bewussten Inkaufnehmen einer Krankheit war absehbar.
1G als Teilnahmebedingung
Die sprachliche Gleichstellung von Genesenen mit Geimpften war ein strategischer Fehler. Mit einer hohen Durchimpfrate als Ziel hätte von Anfang an einfach in "geimpft" und "nicht-geimpft" unterschieden werden müssen. "Genesen" mag dann zwar eine hochwertigere Ausnahme als "getestet" sein, aber letztendlich wäre das ein Instrument gewesen, um zwischen einem Normalzustand und einem Ausnahmezustand zu unterscheiden. Klingt Ihnen diese Markierung zu hart? Kein Angst, wir leben seit fast einem Jahr mit dieser Kategorisierung, nur eben in verschleierter und damit weniger wirksamer Form.
Selbstverständlich kann man diese Vorgangsweise eines hard shoves (vs nudge), eines libertären Paternalismus, aus prinzipiellen Überlegungen oder auch in dieser konkreten Anwendung ablehnen, aber mir geht es hier nur darum, aufzuzeigen, dass mit anderer Planung und Kommunikation alleine möglicherweise ein besseres Ergebnis verwirklicht werden hätte können. Nutzenerwägungen alleine, sprich die Transformation von Expert:innenempfehlungen ohne eine sinnvolle begleitende Kommunikation, führen zu den bekannten dümmlichen, aber leider nachvollziehbaren Abwehrreaktionen.
Und es wundert mich persönlich, dass viele Impfpflichtbefürworter:innen hier noch immer im Sinne von Verschärfungen an kontraproduktiven 2G- oder 2G+Regelungen festhalten wollen. Das ist inkonsistent mit dem Wunsch nach möglichst vielen Geimpften. Es wäre auch jetzt noch nicht zu spät, auf 1G-Regelungen zu gehen, um einer Impfpflicht mit einer Teilnahmebedingung vorzukommen. Mehr dazu weiter unten.
Vorher aber noch ein paar Gedanken zu Pflichten und Rechten in liberalen Demokratien.
Teil 2 – Die Impfpflicht in der Theorie
Es gibt keine Pflichten
Der freiheitliche demokratische Staat legt erwachsenen Menschen grundsätzlich keine Pflichten auf; seine Aufgabe ist es, Bürger:innen ihre Freiheiten und Rechte zu garantieren. Dazu zählt u. a. auch das Recht auf körperliche Integrität, das selbsterklärend ist und auf das ich an der Stelle nicht weiter eingehen will, weil es ausreichend bekannt ist und um nicht von den folgenden Punkten abzulenken. Es ist aber erstaunlich, dass gerade in dieser Zeit der Pandemie, die durch eine Aufblähung des persönlichen Schutzraums auf ein bis zwei Meter (social distancing) geprägt ist, das sozial erwünschte Abstandhalten mit einem invasiven Eingriff zum Kollaps punktiert wird. Welche Farbe hat der Luftballon an den Sie denken?
Zurück zur sogenannten (staats)bürgerlichen Pflicht. Die meisten als solche bezeichneten Pflichten (Steuerpflicht, Schulpflicht, usw.) sind abhängig von gewissen Erfordernissen oder Bedingungen und nicht an die bloße Existenz als volljährige:r Bürger:in gebunden. Übrig bleiben nur Anachronismen wie die allgemeine Wehrpflicht für Männer, die Meldepflicht, aber sonst nicht viel mehr. (Bitte mich an diesem Punkt gerne zu ergänzen.)
Kategorische Gleichsetzungen der allgemeinen Impfpflicht für Erwachsene mit anderen Pflichten wie Gurtenpflicht (siehe dazu auch meinen Newsletter vom 16. November 2021) oder Helmpflicht sind als Argument genauso unbrauchbar wie der Hinweis darauf, dass es zu anderen Zeiten oder Orten bedingungslose Impfpflichten gegeben hat oder gibt. Es sind keine analogen Sachverhalte.
Kurzum: Selbst wenn es noch andere Pflichten, wie etwa die zuvor genannte, verfassungskonforme, aber völlig grundrechtswidrige Wehrpflicht gibt, darf der Staat seinen Bürger:innen prinzipiell keine Pflichten auferlegen, die alleine an die individuelle Existenz geknüpft sind. Dieses Prinzip außer Kraft zu setzen, erfordert Bedingungen, die in der derzeitigen Situation sicher nicht erfüllt sind, vor allem wenn es gelindere Mittel gibt und berechtigte Zweifel bestehen, dass die Impfpflicht auch praktisch nicht greifen wird.
Und jetzt kommt das große Aber: Verbote sind möglich.
Teilnahmebedingungen (bzw. Verbote)
Gesetze sind keine Anleitungen für ethisch richtiges oder moralisch gutes Handeln, sondern legen die Grenzen des Erlaubten fest. Und hier schreitet der Staat auch präventiv ein, wenn auch nur ein Risiko besteht, dass beispielsweise die körperliche Integrität verletzt werden könnte, also Gefahr für Leib und Leben besteht.
So ist es in Österreich trotz sehr liberaler Waffengesetze nicht möglich, einfach mit einer Handfeuerwaffe herumzulaufen. Dafür gibt es eine Genehmigung. Der private Besitz von Nuklearwaffen ist sogar völlig ausgeschlossen, jener von Steinschleudern nicht. Es ist alles eine Frage der Grenzziehung.
Jetzt ist die Krankheit kein Waffe, eine potenzielle Infektion noch weniger und ich setze das auch nicht gleich. Aber das Prinzip der Nichtgefährdung voranzustellen, erlaubt es, die Impfung – wie es bislang schon gehandhabt wird (3G) – weiterhin als Teilnahmebedingung auszulegen.
1G statt Impfpflicht?
Sie wird damit keine allgemeine Verpflichtung, sondern bleibt ein freiwillige Möglichkeit, die allerdings, wenn sich nicht wahrgenommen wird, dazu führt, dass eine Teilnahme am öffentlichen Leben für einen begrenzten Zeitraum noch schwieriger wird.
Daraus lassen sich auch Impfpflichten, gegen die es auch keine grundrechtlichen Einwände gibt, für gewisse Berufsgruppen (Gesundheit, Pflege, Schule, usw.) ableiten.
Der bereits jetzt über den Gefährdungsstatus geregelte Zutritt kann weiter ausgebaut werden: 1G in Gastronomie, Clubs, Friseur, Supermarkt, öffentlichen Verkehrsmitteln, usw. Kontrolliert wird sowieso.
Es würde also mit zunehmendem Risiko immer enger für Nicht-Geimpfte, aber auch nur zeitlich befristet und mit einem vehementen Nudging Richtung Impfung.
Klingt unsympathisch? Selbstverständlich. Wer für eine Impfpflicht eintritt, sollte sich damit jedenfalls leichter anfreunden können und auch in diesem Szenario rechtliche Hürden leichter überwinden können.
Teil 3 – Impfpflicht in der Praxis
Wie sich das Ergebnis in der Praxis von einer Impfpflicht unterscheiden wird, können Modellrechner:innen antizipieren. Ich vermute, es ist effektiver und zwar aus den folgenden zwei Gründen.
Die Impfpflicht ist ein Universalwerkzeug und sticht alles
Die Impfpflicht hebt automatisch alle anderen Maßnahmen auf. Wenn eine Impfpflicht eingeführt wird, müssen wir davon ausgehen, dass diese Pflicht auch wahrgenommen wird. Nach einer gewissen (kurzen) Übergangsphase, um bestehende Infektionen zu isolieren, müssen alle anderen Maßnahmen zwingend enden.
Wenn alle immunisiert sind und die bisherigen Regeln zur Teilnahme (erstes G) zu einem maskenfreien Miteinander in allen sozialen Kontexten konsistent gelten, dann gibt es keinen Grund mehr, eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln aufrecht zu erhalten, Clubs geschlossen zu halten, usw. Außer man räumt natürlich ein, dass die Impfung wirkungslos ist, womit sich die Impfpflicht aber selbst obsoleszieren würden. Ein Termin für diese Komplettöffnung hätte verbindlich mit der Einführung einer Impfpflicht festgelegt werden müssen. Diesen gibt es nicht. Im Gegenteil: es ist zu erwarten, dass die Pflichtimpfung von den Pflichtigen verschleppt wird und die sonstigen Maßnahmen lange weiter bestehen.
Die Impfpflicht wird nicht greifen
In der Praxis wird die Impfpflicht nicht dazu führen, dass die erwünschte Durchimpfquote schon am 1. Februar erreicht werden wird. Und auch nicht am 1. März. Die Kontroll- und Sanktionierungsmechanismen werden dazu führen, dass die Zahl der Geimpften nicht schnell genug ansteigt, dass für alle anderen schnelle Maßnahmenerleichterungen zu erreichen sind. Das ist neben einer aktuellen und eventuellen präventiven Entlastung des Gesundheitssystems aber der hauptsächliche prinzipielle Grund einen Abtausch von Grundrechten und individueller Selbstbestimmung vorzunehmen.Wenn das nicht gewährleistet werden kann, dann fehlt der Impfpflicht jede Legitimation.
Welche Argumente würden die Einführung einer Impfpflicht erleichtern?
Bei allen prinzipiellen Bedenken gegen eine Impfpflicht kann es auch Gründe dafür geben. Ein unrealistisches Szenario wäre die schnelle Durchsetzbarkeit: Das würde bedeuten, dass die Impfpflicht wie oben beschrieben wirklich sehr schnell greift und zu einem kurzfristigen und dauerhaften Ende aller anderen Maßnahmen führt. Aber nicht einmal das wurde versprochen.
Es würde aber auch mit einer breiten Akzeptanz dieser Pflicht einhergehen, die sie wiederum vom Charakter der Pflicht befreit.
Realistischer ist die Emergenz einer neuen Virusvariante oder eines völlig neuartigen Virus und Krankheit, die ansteckender und tödlicher ist. Gepaart mit einer Impfung, deren Zuverlässigkeit noch besser belegt ist, wäre es in der Situation vielleicht denkbar, auch eine sehr prinzipielle Opposition gegen die Impfpflicht aufzugeben. Es sind Szenarien denkbar, die viel schlimmer sind (siehe Steinschleuder vs. Nuklearwaffen). Das gesetzliche Instrumentarium für diesen Fall schon vorbereitet zu haben, ist vielleicht kein Fehler.
Teil 4 - Fazit
Am Schluss fehlt nur noch das Ergebnis meiner Abwägung, die über diesen ohnehin schon langen Text noch hinausgehen würde, hätte ich mich nicht auf das beschränkt, was in meiner Wahrnehmung in der Debatte unterbelichtet war.
Zusammengefasst:
Voraussetzung für eine Impfpflicht ist die Gewährleistung der Effektivität und das baldige terminisierte Ende der anderen Maßnahmen.
In realistischer Einschätzung der Lage wird es zu lange dauern bis die gewünschte Quote erreicht ist. Ein Termin für ein Ende der Maßnahmen steht nicht im Raum.
Der grundrechtliche Schutz körperliche Unversehrtheit und das staatliche Verbot existenzielle Pflichten aufzuerlegen, sind kaum überwindbar. Weil Punkt 1 nicht erfüllt ist, erübrigt sich dieser Punkt für eine Entscheidung. Unter anderen Bedingungen (siehe oben) wäre das vielleicht möglich.
Teilimpfpflichten sehe ich nicht nur als möglich, sondern erachte ich als unbedingt notwendig für viele Berufsgruppen.
Es gibt eine grundrechteschonendere Alternative mit 1G (oder 1G+), die vermutlich ähnlich effektiv ist.
Es gibt keinen breiten internationalen Konsens für eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene, aber viele Beispiele, dass eine hohe Durchimpfung auch ohne Pflicht möglich ist. Man bemühe sich gefälligst.
Außerdem: Für eine Impfpflicht zu sein, nur weil ein Haufen Depp:innen aus vertrottelten Gründen gegen eine Impfung ist, ist kein gutes Argument. Ärgerlich ist es trotzdem.
Als Abgeordneter z. NR würde ich morgen dagegen stimmen.
Das enthält einen zentralen Denkfehler. Dass "1G" grundrechtschonender ist. Dass nur Geimpfte am öffentlichen Leben - oder zumindest wichtigen Bereichen - teilnehmen dürfen, setzt eine Kontrolldichte voraus, die ein weitaus stärkerer Eingriff in Grundrechte ist als eine Impfpflicht je sein könnte.
Wir haben jetzt schon mit diesem unseligen Lockdown für Ungeimpfte die untragbare Situation, dass die Republik ihre hoheitlichen Aufgaben - nämlich die Überwachung der Einhaltung von Gesetzen - völlig unreguliert an zehntausende Beschäftigte von Privatunternehmen delegiert hat. Diese haben auch das Recht, ja sogar die Pflicht, im Zweifelsfall nicht nur höchstpersönliche Gesundheitsinformationen zu kontrollieren sondern auch Ausweisdokumente.
Was mit diesen Informationen geschieht, welche Durchsetzungsrechte die mit hoheitlichen Aufgaben Belehnten haben - vom Verbot der Festnahme mal abgesehen -, ist völlig ungeklärt. Ja, noch nicht mal die Identität der Betroffenen wird dokumentiert, es wird nicht sichergestellt, dass die auch imstande sind, diese Aufgaben zu bewältigen. Ein Ende dieses Zustands ist vorerst nicht absehbar. Das ist sowohl aus staatstheoretischen Überlegungen wie von der Grundrechtsseite her ein untragbarer Zustand.
Zumal ein unter Umständen zu Unrecht Betroffener hier auch nicht die geringste Möglichkeit hat, sich zur Wehr zu setzen. Selbst in Österreich, wo dem Normenunterworfenen nur wenige und sehr schlechte Verteidigungsmöglichkeiten gegen Behördenversagen- oder willkür eingeräumt werden, kann man zumindest gegen falsche Entscheidungen berufen. Bei einer zu Unrecht verweigerten Dienstleistung eines privaten Unternehmens geht das in diesem Fall praktisch gar nicht.
Das ist Überwachungsstaat durch die Hintertür - und mit offensichtlich gar keinen Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen.
Seltsamerweise - und ich schreibe das aus der Perspektive eines dreifachgeimpften Befürworters einer Impfpflicht - stört diese abstruse Kombination aus staatlicher Selbstaufgabe und staatlichem Totaldurchgriff kaum jemanden sonderlich. Dahinter steckt die untertanenhörige Meinung, wer nichts zu verbergen habe, müsse auch keine Kontrolle fürchten. Der Staat dürfe uns ja wohl durchleuchten, wie er wolle.
Das ist auf Dauer wesentlich gefährlicher als eine Impfpflicht je sein könnte.