Den Titel dieses Beitrags könnten Sie naturgemäß auch so interpretieren, dass Ihre Aktivität auf Twitter unerlässlich zur Verbesserung der Welt ist. Aber haben Sie sich auch schon einmal gefragt, was denn alles genau zur kritischen Infrastruktur zählt? Der Begriff wurde ja spätestens in den letzten Wochen in den ordinären Hausgebrauch hineinperpetuiert.
Vor einigen Jahren – es muss um den Dreh gewesen sein, als das Österreichische Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen aka Masterplan APCIP 2014 einer qualifizierten Öffentlichkeit präsentiert wurde – stellte ich diese Frage nicht nur mir selbst, sondern auch als Abgeordneter im Innenausschuss der anwesenden Ministerin Johanna Mikl-Leitner. Mich hatte interessiert, wie kritische Infrastruktur definiert ist und was alles konkret dazu zählt. Soweit ich mich erinnere, entsprach die Reaktion dem üblichen Unverständnis, das man einer Frage nach einem selbsterklärenden Sachverhalt entgegenbringt. Mikl-Leitner hat sich in ihrer Antwort sinngemäß an dem orientiert, was auch Wikipedia aufzubieten hat und was man sich ohne viel Nachzudenken auch unter kritischer Infrastruktur vorstellt – Krankenhäuser, Kraftwerke und natürliche die (katholische) Kirche:
Kritische Infrastrukturen sind Anlagen, Systeme oder ein Teil davon, die von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen, der Gesundheit, der Sicherheit und des wirtschaftlichen oder sozialen Wohlergehens der Bevölkerung sind und deren Störung oder Zerstörung erhebliche Auswirkungen hätte, da ihre Funktionen nicht aufrechterhalten werden könnten.
Das schon erwähnte Österreichische Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen (APCIP) formuliert das in seinem Masterplan 2014 ähnlich:
Kritische Infrastrukturen im Sinne dieses Masterplans sind jene Infrastrukturen (Systeme, Anlagen, Prozesse, Netzwerke oder Teile davon), die eine wesentliche Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen haben und deren Störung oder Zerstörung schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit, Sicherheit oder das wirtschaftliche und soziale Wohl großer Teile der Bevölkerung oder das effektive Funktionieren von staatlichen Einrichtungen haben würde.
Eine gesetzliche Normierung lässt sich auch finden: § 74 Abs. 1 Z. 11 StGB
kritische Infrastruktur: Einrichtungen, Anlagen, Systeme oder Teile davon, die eine wesentliche Bedeutung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, die Landesverteidigung oder den Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren, die Funktionsfähigkeit öffentlicher Informations- und Kommunikationstechnologie, die Verhütung oder Bekämpfung von Katastrophen, den öffentlichen Gesundheitsdienst, die öffentliche Versorgung mit Wasser, Energie sowie lebenswichtigen Gütern, das öffentliche Abfallentsorgungs- und Kanalwesen oder den öffentlichen Verkehr haben.
Hilfreich in dem Zusammenhang auch der "Leitfaden zur Auslegung der Begriffe ‘kritische Infrastruktur’ und ‘Versorgungssicherheit’ gemäß Verordnung LGBl. Nr. 35/2020" der WKO.
Meine Frage an die Innenministerin hatte aber einen anderen Hintergrund, den ich natürlich auch offen legte: Ich wollte eigentlich wissen, ob es eine Liste der Organisationen, Einrichtungen und Liegenschaften gibt, die zur kritischen Infrastruktur zählen, oder ob die davon betroffenen Institutionen überhaupt wissen, ob sie Teil dieser kritischen Infrastruktur sind.
Bzw. wenn es diese Liste nicht gibt, ob es für eine Organisation in Unkenntnis der eigenen spezifischen Identität oder auch Unternehmen die Möglichkeit gibt, die Zugehörigkeit festzustellen.
Kurz zusammengefasst: Das alles gibt es nicht.
Warum das so ist, steht im erwähnten Masterplan:
»Operator based approach«: Auf eine Aufzählung der kritischen Sektoren wird bewusst verzichtet, da damit die Interdependenzen einer komplexen Wirtschaft nicht abgebildet werden können. Österreich hat sich bei der Identifizierung von kritischen Infrastrukturen für einen an den Betreibern von strategischen Unternehmen orientierten Zugang entschieden.
Von diesen Betreiberinnen wird aber einiges abverlangt:
Subsidiarität und Selbstverpflichtung der Unternehmen: Die Eigentümer und Betreiber von strategischen Unternehmen sind in erster Linie für die Aufrechterhaltung ihrer Leistungen und den Schutz ihrer Anlagen und Einrichtungen selbst verantwortlich. Da ein nationales Interesse an der Versorgungsfunktion dieser Unternehmen besteht, sollen sich diese in einer (freiwilligen) Selbstverpflichtung zu einer erhöhten Resilienz und damit zu Schutzstandards bekennen, die für ihre Branche gemeinsam definiert wurden. Deshalb sind Politik und Verwaltung für die Gestaltung der Rahmenbedingungen verantwortlich, damit ein klar definiertes Schutzniveau erreicht wird.
Oder auf gut Deutsch: zur kritischen Infrastruktur zählt, was besonders geschützt werden muss, weil es als Schutzobjekt als Teil der kritischen Infrastruktur zu betrachten ist. Klingt nach einem Zirkelschluss?
Vor diesem Hintergrund wäre eine genauere Definition in Form einer konkreten Liste jedenfalls hilfreich. Es spricht auch nichts dagegen, diese transparent zu machen, außer man ist von einer Paranoia der nationalen Sicherheit getrieben, dass eine derartige Liste nicht in die Hände der Feinde geraten darf, die diese gegebenenfalls destruktiv abarbeiten.
P. S. an Sepp:
Angesichts dieser kurzen Recherche würde ich den Seehof jedenfalls zur kritischen Infrastruktur zählen.