Ich respektiere deine Gedanken zum konkreten Fall - sehe ihn aber deutlich anders.
Das Absingen einer Hymne ist ein zeremonieller Akt. Nicht mehr und nicht weniger. Dass man - aus welchen Gründen auch immer - derlei Zeremonien ablehnt, heißt nicht, dass man die Rechtsordnung des jeweiligen Staates ablehnt. Aus meiner Sicht ist es daher abzulehnen, dass man jemandem die Staatsbürgerschaft aberkennt, wenn er bei einem bloß zeremoniellen Akt nicht mitmacht. Vor allem, wenn das per Schnellbeschluss eines politischen Gremiums geschieht und nicht durch ein rechtsstaatliches Behördenverfahren mit Berufungsmöglichkeit.
Zeremonien, bzw. Rituale, und moderne demokratische und säkulare Staaten bewegen sich in einem komplizierten Spannungsfeld. Einerseits gilt prinzipiell: Halt dich an die Gesetze, ob aus Überzeugung, Angst vor Strafe oder Begeisterung, alles andere ist wurscht. Andererseits brauchen Gesellschaften und ihre Machtinstanzen Rituale, die ein Gemeinschaftsgefühl schaffen.
Eines dieser Rituale etwa ist der Besuch eines Wahllokals am Wahltag. Natürlich hat das auch praktische Bedeutung, aber man sollte den zeremoniellen Aspekt des Vorgangs nicht unterschätzen. Das Wahllokal ist einer der letzten Bereiche in zunehmend zersplitterten Gesellschaften, in denen wir einander völlig gleichberechtigt begegnen. Die Regeln sind für alle gleich, keiner kommt schneller dran. Die zunehmende Akzeptanz der Briefwahl widerspricht natürlich diesem Aspekt und höhlt ihn aus. Wie geht man jetzt damit um? Auch keine ganz so einfach zu beantwortende Frage - und aus meiner Sicht um Vieles komplexer als die Frage, ob man bei einer Verleihungszeremonie die Hymne absingen muss.
Zeremonielle Akte, vorgeschriebene Rituale und im gleichen Sinne die republikanischen Tabus, die selbst tabuisiert sind und daher niemals erwähnt, bilden ein republikanisches Totalitarismus-light.
Ist es das? Dass das Eine explizit nur als Ritual gemeint ist und das Andere durch die Rahmenbedingungen notwendigerweise zu einem Ritual wird, ändert nichts daran, dass beides als Ritual den gleichen sozialen Sinn erfüllt. Die einzig relevante Unterscheidung ist da aus meiner Sicht, was davon notwendig ist und was nicht.
Ich halte im Übrigen das Wahllokal für das eigentlich demokratische und damit notwendige Ritual. Ich bin durchaus dafür, aus diesem Grund die Briefwahl auf das allernötigste Maß zu beschränken. Das Absingen von Hymnen hingegen ist heute für kaum jemanden irgendwie relevant. Wie oft machst du das schon?
Das Absingen von Hymnen und wedeln mit Fahnen mache ich schon lange nicht mehr - das Ergebnis meiner eigenen Erfahrung mit Nationalismen und aggressivem Patriotismus. In meinem Fall kommt zusätzlich der Migrationshintergrund dazu, wobei die Rituale der Hymne und Fahne dem Zweck des integrativen Sich Bekennens dienen sollen, stehen also für eine nie zu tilgende Bringschuld.
Ich mag persönliches Erscheinen im Wahllokal sehr, ich sehe es als eine zivilgesellschaftliche Geste des zivilen Betragens, unter den Bürgern des Grätzels - und unabhängig von konkreten Wahlfragen. Das ist eine seltene Gelegenheit eigene politische Teilnahme an Gesellschaft performativ zu zeigen.
Das ist nicht notwendigerweise ein Ritual, ich verbinde z.B. diese Angelegenheit immer mit morgendlichen Jogging, und gehe in die Wahlkabine in Sportkleidung.
Die republikanische Rituale sind manchmal gefährlich nahe an religiösen Ritualen und repräsentieren das was Mill "Tyranny of the majority" genannt hat.
Habe nochmal nach gelesen. Ich halte das für ziemlich unmissverständlich. Wir wissen einfach nicht, was das Motiv des Bewerbers war.
"Für den aktuellen Fall eines Zeugen Jehovas, der beim Verleih der Staatsbürgerschaft die tranige Preradović-Hymne nicht mitsingen wollte und angeblich deswegen die österreichische Staatsbürgerschaft nicht erwerben konnte, gibt es nun zwei Lesarten. Der Mann wollte einfach – egal ob dafür religiöse Gewissensgründe oder nicht ausschlaggebend waren – diesen Teil des Rituals auslassen oder er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass für ihn die Gesetze des Landes nachrangig sind – all das unabhängig davon, ob beim Verleih der Staatsbürgerschaft gesungen werden muss oder nicht. Der Bewerber kann auch ohne Singverpflichtung und in jedem anderen Kontext diese Nachrangigkeitserklärung verbal oder nonverbal abgeben wollen. Deswegen ist auch die Frage, ob beim Verleih der Staatsbürgerschaft die österreichische Hymne gesungen werden muss, nur als Wahrnehmung des Bewerbers relevant. Das Absingen selbst kann kein Kriterium, sondern nur Ausdruck kleinkarierter Pedanterie und Missgunst sein. Kein vernünftiger Mensch sollte sich mit so einem Unsinn beschäftigen müssen.
Ausschlaggebend ist im konkreten Fall nur der Aspekt, ob hier jemand religiöse Gesetze über weltliche stellt. Das wiegt schwer. Solche Menschen können hier leben, aber haben damit den Erwerb der Staatsbürgerschaft (zumindest vorläufig) verwirkt."
"Das Absingen einer Hymne ist ein zeremonieller Akt. Nicht mehr und nicht weniger. Dass man - aus welchen Gründen auch immer - derlei Zeremonien ablehnt, heißt nicht, dass man die Rechtsordnung des jeweiligen Staates ablehnt"
Uff mein Ganzer Text arbeitet gerade diesen Unterschied heraus.
Ich stelle genau auf die beiden Lesarten der Handlung ab. Ist das so missverständlich?
Land der Hämmer!!
Ich respektiere deine Gedanken zum konkreten Fall - sehe ihn aber deutlich anders.
Das Absingen einer Hymne ist ein zeremonieller Akt. Nicht mehr und nicht weniger. Dass man - aus welchen Gründen auch immer - derlei Zeremonien ablehnt, heißt nicht, dass man die Rechtsordnung des jeweiligen Staates ablehnt. Aus meiner Sicht ist es daher abzulehnen, dass man jemandem die Staatsbürgerschaft aberkennt, wenn er bei einem bloß zeremoniellen Akt nicht mitmacht. Vor allem, wenn das per Schnellbeschluss eines politischen Gremiums geschieht und nicht durch ein rechtsstaatliches Behördenverfahren mit Berufungsmöglichkeit.
Zeremonien, bzw. Rituale, und moderne demokratische und säkulare Staaten bewegen sich in einem komplizierten Spannungsfeld. Einerseits gilt prinzipiell: Halt dich an die Gesetze, ob aus Überzeugung, Angst vor Strafe oder Begeisterung, alles andere ist wurscht. Andererseits brauchen Gesellschaften und ihre Machtinstanzen Rituale, die ein Gemeinschaftsgefühl schaffen.
Eines dieser Rituale etwa ist der Besuch eines Wahllokals am Wahltag. Natürlich hat das auch praktische Bedeutung, aber man sollte den zeremoniellen Aspekt des Vorgangs nicht unterschätzen. Das Wahllokal ist einer der letzten Bereiche in zunehmend zersplitterten Gesellschaften, in denen wir einander völlig gleichberechtigt begegnen. Die Regeln sind für alle gleich, keiner kommt schneller dran. Die zunehmende Akzeptanz der Briefwahl widerspricht natürlich diesem Aspekt und höhlt ihn aus. Wie geht man jetzt damit um? Auch keine ganz so einfach zu beantwortende Frage - und aus meiner Sicht um Vieles komplexer als die Frage, ob man bei einer Verleihungszeremonie die Hymne absingen muss.
Zeremonielle Akte, vorgeschriebene Rituale und im gleichen Sinne die republikanischen Tabus, die selbst tabuisiert sind und daher niemals erwähnt, bilden ein republikanisches Totalitarismus-light.
Wahllokal-Besuch ist mMn etwas anderes.
Ist es das? Dass das Eine explizit nur als Ritual gemeint ist und das Andere durch die Rahmenbedingungen notwendigerweise zu einem Ritual wird, ändert nichts daran, dass beides als Ritual den gleichen sozialen Sinn erfüllt. Die einzig relevante Unterscheidung ist da aus meiner Sicht, was davon notwendig ist und was nicht.
Ich halte im Übrigen das Wahllokal für das eigentlich demokratische und damit notwendige Ritual. Ich bin durchaus dafür, aus diesem Grund die Briefwahl auf das allernötigste Maß zu beschränken. Das Absingen von Hymnen hingegen ist heute für kaum jemanden irgendwie relevant. Wie oft machst du das schon?
Das Absingen von Hymnen und wedeln mit Fahnen mache ich schon lange nicht mehr - das Ergebnis meiner eigenen Erfahrung mit Nationalismen und aggressivem Patriotismus. In meinem Fall kommt zusätzlich der Migrationshintergrund dazu, wobei die Rituale der Hymne und Fahne dem Zweck des integrativen Sich Bekennens dienen sollen, stehen also für eine nie zu tilgende Bringschuld.
Ich mag persönliches Erscheinen im Wahllokal sehr, ich sehe es als eine zivilgesellschaftliche Geste des zivilen Betragens, unter den Bürgern des Grätzels - und unabhängig von konkreten Wahlfragen. Das ist eine seltene Gelegenheit eigene politische Teilnahme an Gesellschaft performativ zu zeigen.
Das ist nicht notwendigerweise ein Ritual, ich verbinde z.B. diese Angelegenheit immer mit morgendlichen Jogging, und gehe in die Wahlkabine in Sportkleidung.
Die republikanische Rituale sind manchmal gefährlich nahe an religiösen Ritualen und repräsentieren das was Mill "Tyranny of the majority" genannt hat.
Habe nochmal nach gelesen. Ich halte das für ziemlich unmissverständlich. Wir wissen einfach nicht, was das Motiv des Bewerbers war.
"Für den aktuellen Fall eines Zeugen Jehovas, der beim Verleih der Staatsbürgerschaft die tranige Preradović-Hymne nicht mitsingen wollte und angeblich deswegen die österreichische Staatsbürgerschaft nicht erwerben konnte, gibt es nun zwei Lesarten. Der Mann wollte einfach – egal ob dafür religiöse Gewissensgründe oder nicht ausschlaggebend waren – diesen Teil des Rituals auslassen oder er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass für ihn die Gesetze des Landes nachrangig sind – all das unabhängig davon, ob beim Verleih der Staatsbürgerschaft gesungen werden muss oder nicht. Der Bewerber kann auch ohne Singverpflichtung und in jedem anderen Kontext diese Nachrangigkeitserklärung verbal oder nonverbal abgeben wollen. Deswegen ist auch die Frage, ob beim Verleih der Staatsbürgerschaft die österreichische Hymne gesungen werden muss, nur als Wahrnehmung des Bewerbers relevant. Das Absingen selbst kann kein Kriterium, sondern nur Ausdruck kleinkarierter Pedanterie und Missgunst sein. Kein vernünftiger Mensch sollte sich mit so einem Unsinn beschäftigen müssen.
Ausschlaggebend ist im konkreten Fall nur der Aspekt, ob hier jemand religiöse Gesetze über weltliche stellt. Das wiegt schwer. Solche Menschen können hier leben, aber haben damit den Erwerb der Staatsbürgerschaft (zumindest vorläufig) verwirkt."
"Das Absingen einer Hymne ist ein zeremonieller Akt. Nicht mehr und nicht weniger. Dass man - aus welchen Gründen auch immer - derlei Zeremonien ablehnt, heißt nicht, dass man die Rechtsordnung des jeweiligen Staates ablehnt"
Uff mein Ganzer Text arbeitet gerade diesen Unterschied heraus.
Ich stelle genau auf die beiden Lesarten der Handlung ab. Ist das so missverständlich?